Solistenensemble Kaleidoskop
Music: Wolfgang Riehm, Helmut Lachenmann, Salvatore Sciarrino, Ludwig van Beethoven, Mark Andre, J. S. Bach, Gregoire Simon (UA), Clara Gervais (UA), Iannis Xenakis
Artistic Director: Tilman Kanitz

Photo: Sebastian Mayer

In Unmöglichkeit III – Alice begibt sich der Zuhörer in die Wunderwelt der Sammlung Hoffmann. Das Publikum bewegt sich einzeln durch die Ausstellungsräume, in denen sich Abstraktionsformen von Musik und bildender Kunst gegenüberstehen. Es entwickeln sich Möglichkeiten der Spiegelung in Abstraktion und die Unmöglichkeit des Austausches darüber. Vermeintlich nicht zusammen gehörende abstrakte Kunstwerke und Klänge können in der Fantasie zu einem ganz persönlichen Ganzen zusammengesetzt werden. Dabei verweben sich Klänge von Mark Andres Trio …zu… und zeitlich extrem gedehnte Partikel aus Bachs Johannes-Passion.

Dieses fein gesponnene Klangnetz wird immer wieder von Energieeruptionen aus dem Boltanski Raum erschüttert, in dem Solowerke Xenakis‘ zueinander in Dialog gestellt werden. Ein Konzert mit Werken von Mark Andre, Johann Sebastian Bach, Christoph Herndler, Guillaume Dufay, Iannis Xenakis, Ludwig van Beethoven, Ole-Henrik Moe, Wolfgang Rihm und Helmut Lachenmann.

Anlässlich seines 10. Geburtstages beginnt am 09. März die vierteilige Konzertreihe des Solistenensemble Kaleidoskop Unmöglichkeit I–IV. Mit dem Anspruch, Musik immer wieder neu und unvoreingenommen zu spielen, werden darin musikalische Endpunkte und mögliche Neuanfänge erprobt. Kaleidoskop stellt die Frage nach der Existenz einer absoluten, unzerstörbaren Idee eines musikalischen Werkes: Wann wird Geräusch Musik? Wie lassen sich musikalische Standpunkte vermitteln? Welche Unmöglichkeiten des gemeinsamen Musikmachens existieren? Bis zum 11. Juni eröffnen sich dem Ensemble und seinem Publikum an vier verschiedenen Berliner Orten der Bildenden Kunst in vier verschiedenen Konzerten neue Hörräume, die Hoffnung auf eine neue ‚Hellhörigkeit‘ versprechen. Jedes der vier Konzerte – J’espère, Unbox, Alice und Revue – hat seine eigene Bühne, seinen eigenen Klang- und visuellen Assoziationsraum. Die Konzerte sind sowohl als Einzelvorstellungen als auch als vierteiliges Gesamtwerk konzipiert. Die Spielorte nehmen Bezug zueinander und bauen aufeinander auf.

Musik: Solistenensemble Kaleidoskop
Künstlerische Leitung: Tilman Kanitz
Künstlerische Mitarbeit: Boram Lie
Klanginstallationen: Ole Brolin, Harpo ‘t Hart, Tilman Kanitz
Kostüm: Cristina Nyffeler

Einlass einzeln alle drei Minuten von 16.00 bis 21.00 Uhr. Der Aufenthalt in der Konzertinstallation ist bis maximal 22.00 Uhr möglich. Bitte wählen Sie beim Ticketkauf aus, zu welcher Uhrzeit Sie den Besuch der Konzertinstallation starten wollen.

aus: Kritische Theorie des Hörens, Untersuchungen zur Philosophie Ulrich Sonnemanns, Dissertation von Martin Mettin, Zur Konzertreihe Unmöglichkeit I–IV

Unmöglichkeit II – Unbox und III – Alice

Wochen später dann wird die geneigte Zuhörerschaft auf eine Irrfahrt geschickt. Fäden, im ersten Konzert ausgelegt, überkreuzt und stellenweise verknüpft, werden nun wieder aufgenommen – und zugleich gelockert. Zunächst geht es (II – Unbox) in ein repräsenta- tives Studio in Berlins Mitte. Außen Italienische Hochrenaissance, 1913–16 erbaut. Innen schwarz-weißer Marmor und 50er-Jahre-Klassizismus; der Raum ähnelt einem schlichten Kirchenschiff, an der Stirnseite führen gar einige Stufen hinauf zu einem erhöhten Chor- raum, an dessen Ende ein senkrechter Lichtbalken durch eine Spiegelfront fällt.

Vier Musiker sitzen auf je einem Podest, klassische Streichquartett-Besetzung; das erste Wort jedoch haben drei Tonbänder, synchron gestartet geben sie die Stimmen von Violine, Viola und Violoncello aus einem der Beethoven-Trios op.9 wieder, die sich bald auseinanderspielen, ohne Koordination verirren.

Dann beginnt der Gang durch die Instrumente. Selten spielen sie zusammen, tragen zumeist nacheinander vor. Auf dem Cello erklingt ein Solo von Marc André,
Bogen und Griffbrett zeichnen überdeutlich und in metrischer Strenge ein Kreuz nach. Die sakrale Bewegung setzt sich nach der Pause fort. Nun hängen zwei lange Metallplatten an derjenigen Stelle des Studios, wo ebenso gut ein Altar stehen könnte. In gedämmtem Licht beginnen sie elektronisch vibrierend und wortlos zu singen. Zu ihren Füßen sitzt, klein und andächtig, das horchende Publikum.

Unmöglich, sich dem Bann zu entziehen, den die nicht ganz nüchterne Heiligkeit dieses Abends ausübt. Doch gilt zugleich: „Der magische Moment in der Musik muss gebrochen werden, magisch erleben heißt hörig sein. Wir müssen hellhörig werden.“ (Lachenmann, in: Programmheft)

Kein Verweilen.

Kurz darauf führt die Reise weiter in eine „private und bewohnte Sammlung zeitgenössi- scher Kunst“ (Selbstauskunft: www.sophie-gips.de); in das Hofensemble einer sanierten Klinkerfabrik der Jahrhundertwende, mitsamt den obligatorischen Lofts, Biedermeierhäusern und Zeitgeistarchitektur. Alice (Unmöglichkeit III) ist das Motto dieser Passage, doch geht es nicht durch den Kaninchenbau hinab, vielmehr – und wieder vereinzelt – über ein klingendes Treppenhaus hinauf in das mehrgeschossige Wunderland.

Kaum wird kaschiert, dass man in dieser „privaten Öffentlichkeit“ (Selbstauskunft) höchstens halbgebetener Gast ist. Für die störenden Eindringlinge gibt es überdimensionale Überschuhe aus Filz, die ein leichtfüßiges (und damit der Musik zuträgliches) Wandeln in den Räumlichkeiten unmöglich machen. Neben den Musikern sind nur die Hausherrin und die Ihrigen von dieser Peinlichkeit freigestellt. Eine ganze Heerschar an fingerklopfenden Wächtern weist währenddessen allzu frei sich bewegende Besucher schnell in ihre Schranken; Bücher etwa dürfen heute nicht aus den Regalen genommen werden.

Die Musik gibt derweil ihr Bestes: Auch ihr sind die Gäste ungebetene, sie will ihnen nichts zeigen. Eher ist es, als wohnte man klammheimlich den ausgedehnten Proben der vorbeihuschenden Musiker bei, begegnete ihrem Spielen rein zufällig hier und da. Doch augenzwinkernd gestattet solche Musik ganz ungeniert und unbeeindruckt das Zuhören. Wer nicht gleich jedem Geräusch wie einem Irrlicht nachrennt, nicht also der sich zu Grüppchen und Gruppen zusammenschließenden Zuhörerschaft folgt, sich vielmehr blindlings in diesem Labyrinth verläuft, der kann Ohrenzeuge glückender Momente wer- den: Etwa Auszüge aus Lachenmanns Grido erhaschen und dabei zwischen den oxydiert schimmernden Blechbüchsen einer Installation Christian Boltanskis sitzen; also den ei- genwilligen Naturklängen von Instrumentenkörpern nachhören inmitten einer Industrie- landschaft, die zugleich an steile Schieferfelsformationen erinnert — Vorschein gelungener Versöhnung von Technik und Natur? oder unversehens in das liebevolle Zwiegespräch von Cello und Violine geraten …

Die Duldung ist jedoch nur auf Zeit ausgesprochen, verstreicht und erstickt jäh diesen intimen Hör-Augenblick. Im ersten Konzert war es noch die Musik, die nicht so recht hineinfand in die verschlungenen und verstopften Gänge des Gehörs. Heute aber sind es die Ohren, denen das Eindringen in die vorbeieilende Musik nicht vollends gelingen will, denen der Zutritt zu geschlossener Gesellschaft verwehrt bleibt. Tröstlich immerhin, dass auch die flüchtigen Töne nicht heimisch werden zwischen all den kunstgewordenen Spekulationsobjekten an den Wänden und in den Magazinen dieser nicht-Öffentlichkeit.

Ein Projekt von Solistenensemble Kaleidoskop. In Zusammenarbeit mit STUDIOTEN, Studio Picknick, Sammlung Hoffmann, KINDL – Zentrum für zeitgenössische Kunst. In Kooperation mit RADIALSYSTEM V. Gefördert aus Mitteln der LOTTO-Stiftung Berlin, der Schering Stiftung und der Ernst von Siemens Musikstiftung.